Dienstag, 19. Juni 2012

Haltet den Ausbeuter! von Hansjoerg Walther

Man kann die Sozialisten ja wirklich beneiden. Während wir uns in einer Welt herumplagen, in der Dinge kompliziert sind, leben diese Herrschaften in einer, in der alles ganz einfach ist. Und in der sich nichts ändert.
Eine Kostprobe davon lieferte gerade eben wieder Katja Kipping ab, die neue Vorsitzende der SED. Nach ihrer Vorstellung sollten Einkommen oberhalb von 480.000 Euro komplett weggesteuert werden. Nun ist das aus Sicht eines Sozialisten auch ganz einsichtig:
Die Werte, die diesen Einkommen zugrundeliegen, produzieren sich ja von selbst. Und was einer hat, der so viel verdient, das hat er nur aus List, Tücke oder Betrug, weil das System eben einmal so funktioniert. Oder anders: Er hat sein Verdienst nicht verdient, sondern es der Masse der Proletarier geraubt, und kann von daher ohne Gewissenbisse enteignet werden. Und noch mehr: Den Proletariern geht es genau deshalb so dreckig, weil sie auf diese Weise ausgebeutet werden. Würde man ihnen zurückgeben, was ihnen sowieso zusteht, so ginge es allen prächtig.
Es gibt einen Haken: Nichts davon stimmt.
Zum einen ist das die Logik eines Räubers, der sein Gewissen damit beruhigt, daß er ja nur noch größere Räuber bestiehlt und es für die Armen tut. Doch hat dieser Räuber wirklich den Beweis geführt, daß alles, was er raubt, auch wirklich selbst unrechtmäßig erlangt wurde?
Und selbst wenn: Was würde denn für die Armen herausspringen?
Zuerst einmal stolpern wir über die recht ungrade Zahl von 480.000 Euro. Man könnte vielleicht denken, daß es sich dabei um die Grenze zwischen den ominösen 1% und den 99% handelt, von denen letzthin so viel die Rede war. Aber nein, die verläuft niedriger, etwa bei 160.000 Euro Einkommen pro Jahr. Und nun erhellt auch, wieso Frau Kipping sich von einer solchen Grenze fernhält: Viele der höheren Parteichargen auch der SED bewegen sich mit ihrem Einkommen in dieser Größenordnung. Wir vermuten, daß das auch für Frau Kipping mit Bezügen als Abgeordnete und Parteivorsitzende gilt (nach eigenen Angaben erhält sie bereits als Abgeordnete etwa 12.000 Euro monatlich). Und zahlen sollen natürlich die anderen.
Neu ist die diese Koketterie keineswegs. Die Sozialdemokraten des Kaiserreichs wetterten beispielsweise gegen die obersten 4%, die die Ausbeuterklasse darstellten, weil sie mehr als 3000 Mark im Jahr verdienten. Zum Vergleich: das Durchschnittseinkommen lag in den 1870er Jahren bei 700 bis 800 Mark, die Kaufkraft einer Mark entsprach ungefähr 10 Euro heute.
Schon 1878 zeigte Eugen Richter auf, wie die wirtschaftlichen Interessen der Parteikader selbst lagen. In seiner Broschüre “Die Sozialdemokraten, was sie wollen und wie sie wirken” (vgl. Fußnote Seite 24-25) listete er auf, was die sozialistische Parteiführung verdiente:
Die Partei bedarf nicht nur zur weiteren Ausbreitung, sondern auch zur Erhaltung des bisherigen Stammes der fortdauernden Erregung der Massen. Bis auf drei oder vier Ausnahmen leben ihre sämmtlichen Reichstagsabgeordneten von dem, was die Parteiagitationen und die Parteipresse abwerfen; die Mitglieder des Zentralkomitees, die ständigen Agitatoren, fast sämmtliche Versammlungsredner und Vorsitzende nicht minder. Schon nach den Berichten und Beschlüssen des Sozialisten-Kongresses zu Gotha 1876 beträgt die Zahl der durchweg vollbesoldeten Agitatoren 54, darunter 46 Parteibeamte, Redakteure, Expedienten etc. und 8 an verschiedenen Orten Deutschlands ständig angestellte Agitatoren. Letztere erhalten monatlich 135 M. Gehalt, und auf Reisen außerhalb des Agitationsbezirks 1 ½ bezw. 3 M. Letzteren Betrag erhalten die Verheiratheten Tageszulage. 14 andere Agitatoren erhielten 25-75 M. Zuschüsse monatlich und 6 bezw. 7 ½ M. Reisekosten. Von den Vorstandsmitgliedern in Hamburg erhalten die beiden Sekretäre je 150 M., der Kassirer 105 M., die beiden Beisitzer je 45 M. monatlich. Liebknecht und Hasenclever beziehen je 2340 M. Jahresgehalt am „Vorwärts” Die Reichstagsabgeordneten erhalten 9 M. Tagesdiäten, Parteibeamte darunter von mindestens 1200 M. Jahresgehalt 6 M., Berliner Parteibeamte 3 M. — Unmittelbar vor den letzten Reichstagswahlen standen 24 Agitatoren in vollem Gehalt. Der Umstand, daß an der Ausdehnung der Partei fast ihr gesammter Stab unmittelbar mit seinen individuellen Ernährungsverhältnissen interessirt ist, giebt der sozialistischen Partei Vortheile vor anderen Parteien, so lange der entsprechende Temperaturgrad vorhält, während ein Erkalten desselben, ein Nachlassen im Interesse der Massen, alsbald auch die Kadres der Partei zerstört.
Daß solche wirtschaftlichen Interessen der sozialistischen Agitatoren auch Katja Kipping nach den letzten Wahlergebnissen umtreiben, können wir gerne glauben. Der Porsche von Herrn Ernst will ja auch auf Dauer finanziert sein. Daß man damit natürlich selbst zur verhaßten Klasse der Ausbeuter gehört, entlarvte Eugen Richter 1896 in seiner Broschüre “Gegen die Sozialdemokratie” (siehe Seite 6). “He went in for the kill” mit den folgenden Worten:
Denn der ganze Stab der Sozialdemokratie, welcher in der Stellung von Parteibeamten, Redakteuren, Schriftstellern und Agitatoren von den Parteigenossen unterhalten wird, bezieht in seiner Mehrheit selbst ein Einkommen von über 3000 Mark. Das ist der Humor der sozialdemokratischen Logik, daß somit der Generalstab der Sozialdemokratie selbst zu jenen vier Prozent gehört, die nach der sozialdemokratischen Darstellung die “Reichen und Mächtigen” in der Gesellschaft sind und die anderen “ausbeuten”.
So viel hat Katja Kipping schon aus der Geschichte gelernt, daß man die Grenze zu den Ausbeutern, die man enteignen darf, nicht derart niedrig ziehen sollte, daß man mit seinem auskömmlichen Einkommen selbst dazuzählt. Der Betrag, den sie angesetzt hat, entspricht in etwa der Grenze zwischen den obersten 0,1% der Einkommensbezieher und den anderen 99,9%.
Nun tut sich an dieser Stelle ein Problem auf: Es ist ja bequem, hat man die Skrupel erst einmal abgelegt, ein paar Besserverdienende auszurauben. Aber was, wenn es davon nur sehr wenige gibt?
0,1% der Einkommenbezieher sind in Deutschland etwa 40.000 Personen. Wenn wir, eher zu hoch gegriffen, annehmen, daß jeder von ihnen etwa eine Million verdient, dann summiert sich ihr Einkommen auf 40 Milliarden Euro. Nun zahlen diese Leute bereits den Spitzensteuersatz auf den oberen Teil ihres Einkommens. 20 Milliarden würden also gar nicht mehr für das Ausrauben bereitstehen. Und wenn wir die verbleibenden 20 Milliarden einmal auf 40 Millionen Erwerbstätige verteilen, so kommen wir auf ungefähr 500 Euro pro Kopf und Jahr oder gut 40 Euro im Monat. Oder etwa mehr als einen Euro pro Tag.
Frau Kipping könnte also jedem Arbeitnehmer mit ihrer grandiosen Idee täglich ein Bier ausgeben!
Vermutlich würde sie aber denselben Leuten einen immensen Sprung in ihrem Wohlstand suggerieren. Auch das ist nicht neu. Wie Eugen Richter in den “Irrlehren der Sozialdemokratie” von 1890 vorrechnete, wäre zu jener Zeit bei einer vollkommen gleichen Verteilung der Einkommen das folgende herausgekommen, wobei noch ignoriert werden müßte, daß die entsprechenden Werte aufgrund mangelnden Anreizes nicht mehr geschaffen und der Staat die Kapitalbildung der Privaten ersetzen müßte:
Ein Jahreseinkommen von 842 Mk. würde also unter der sozialdemokratischen Weltordnung nach der Konfiskation des gesamten Privatvermögens herauskommnen, d. h. mit andern Worten, unter der sozialdemokratischen Weltordnung würden bei gleicher Verteilung des Einkommens sehr viele sozialdemokratischen Arbeiter in den Großstädten, den jetzigen Hauptsitzen der Sozialdemokratie, durchweg ein geringeres Einkommen erhalten, als sie zur Zeit unter dem “Ausbeutungssystem” beziehen; denn ein Jahreseinkommen von 842 Mk. ergiebt noch nicht einmal einen Tagelohn von 3 Mk. Die sozialdemokratischen Maurergesellen in Berlin haben wochenlang gestreikt, weil ihnen ein Tagesverdienst von 5 Mk. zu gering war. Diese Maurergesellen würden also beispielsweise unter der sozialdemokratischen Weltordnung noch 2 Mk. täglich von ihrem jetzigen Einkommen einbüßen. [...]
Es wird eben stets übersehen, daß die Zahl der Reichen eine sehr kleine und die Zahl der Aermeren eine sehr große ist, und deshalb der Kommunismus mit gleicher Teilung des Arbeitsertrages selbst nach sozialdemokratischer Rechnung die Durchschnittslage nur wenig verbessert.
Auch die Richtung von Kippings oder des ähnlichen Vorschlags von François Hollande einer Millionärssteuer war schon einmal da. Hier wies Eugen Richter schon 1896 auf die Belanglosigkeit der Forderung hin (vgl. “Gegen die Sozialdemokratie”, Seite 25):
Die Sozialdemokratie sagt weiter. “Wer Millionen einnimmt, kann auch Millionen und nicht bloß Hunderttausende an Steuern zahlen.” Das klingt sehr schön, stellt sich aber mit dem Rechenstift ganz anders heraus. Wieviel Personen giebt es denn, die überhaupt Millionen einnehmen? Seit dem neuen Einkommenssteuergesetz ist dies für Preußen genau festgestellt. Danach beträgt die Zahl der physischen Personen, welche mehr als eine Million Mark jährlich Einnahme haben, nur 24. Wir sind der Meinung, daß, wenn nicht durch künstliche staatliche Einrichtung von Fideikommissen u. dergl. die Teilung der großen Einkommen im natürlichen Erbgang erschwert würde, diese Zahl noch weit geringer sein würde.
Aber gleichviel, wenn man im Sinne der Sozialdemokratie diese 24 Personen zwingen wollte, alles an die Staatskasse abzuliefern, was ein jeder von ihnen über 1 Million Mark jährlich einnimmt, so würde diese Ablieferung nach genauer Berechnung unter Zugrundlegung der amtlichen preußischen Statistik jährlich nur 26 Millionen Mark betragen. Das heißt natürlich nur für den Anfang; denn wenn die Mehreinnahme vom Staate konfisziert wird, so würden alsbald die Betreffenden dafür sorgen, daß ihr Einkommen sich dermaßen verringert, daß bei dieser Konfiskation schon im nächsten Jahr wenig oder nichts mehr herauskommt. Sei dem, wie ihm sei. Was sind 26 Millionen Mark gegenüber einem preußischen Staatshaushalt von 2 Milliarden und einem Reichshaushalt von 1300 Millionen Mark!
Würden diese 26 Millionen Mark verwendet im Interesse der Gesamtheit, so käme auf den Kopf der Bevölkerung Preußens zum Nutzen des Einzelnen nur ein Betrag von noch nicht 1 Mark, nämlich von 80 Pfennigen jährlich.
Außer daß Frau Kipping einfach noch mehr Leute ausbeuten will — ein Einkommen von 1 Million Mark würde ja heute einem von 10 Millionen Euro entsprechen —, ist die Argumentation auch heute so schief wie vor über hundert Jahren. Der Bundeshaushalt beläuft sich auf 350 Milliarden Euro, wozu noch die Haushalte der Bundesländer bis hinunter zu den Kommunen kommen.
Letzlich läuft es immer wieder auf die Geschichte hinaus, die Eugen Richter dann auch genüßlich anbringt (vgl. “Gegen die Sozialdemokratie”, Seite 25-26):
Bekannt ist die Anekdote über den Frhrn. v. Rothschild aus dem Jahre 1848. Als diesem auf der Straße von einem Proletarier mit Teilung gedroht wurde, zog derselbe seinen Geldbeutel und reichte dem Proletarier ein Fünfgroschenstück als den Vermögensanteil, der bei dieser Teilung auf seinen Kopf herauskommen würde. In unserem Fall ergiebt sich also eine wenig verschiedene Ziffer für den Fall daß, wie die sozialdemokratische Agitation fordert, die Personen mit einem Einkommen von Millionen auch Millionen von Steuern zahlen sollen. Ob es sich dabei, wie damals, um die reale Teilung handelt oder, wie heute, nur um die Konfiskation der Gesamtheit zum Nutzen der Einzelnen, bleibt in der Sache dasselbe.
Die Sozialdemokratie macht der großen Menge der Minderwohlhabenden stets blauen Dunst vor, indem sie auf einzelne reiche Leute verweist und es so darstellt, als ob die Verhältnisse der vielen Millionen Minderwohlhabender in irgend nennenswerte Weise gebessert werden könnten, wenn man jenen wenigen Reichen ihren Reichtum abnimmt.
Mit anderen Worten: Katja Kipping gabs schon hundertmal. Nichts Neues im Märchenland Sozialististan!
Zuerst erschienen auf der Website des Eugen-Richter-Instituts:http://blog.freisinnige-zeitung.de/archives/2573